Gnadenbringende Weihnachtszeit. Wer diesen Stuss erfunden hat, gehört mit einer Lichterkette erdrosselt. Wenn die ersten Vorweihnachtsterroristen ihre Kilowattstarke Glaubensillumination über die Balkonbrüstung gewuchtet haben und Hunderttausende Plasteruprechts Fassaden hochknechten, ist es wieder soweit: die Schokoladenindustrie beginnt mit der Produktion von Osterhasen. Wem jetzt nicht das Herz weihnachtliche Wonne gebiert, ist entweder Islamist, Truthahn oder schon im letzten Jahr beim heldenhaften Kampf um den letzten Parkplatz der örtlichen Shopping-Mall von uns gegangen worden. Freuet euch, der 2009. Heiland wird fällig, wozu auch immer. Was schenke ich wem? Wie viel darf es kosten? Wo bekomme ich’s am günstigsten her? Wem kann ich was vom Vorjahrsfest schenken, was ich nicht selbst umtauschen konnte? Und vor allen Dingen: was bekomme ich? Und vor allen, allen, allen Dingen: wie bekomme ich einen Parkplatz?
Gnadenbrot fristende Weihnachtszeit.
Vor einigen Jahren entwickelte ich das ‚park and buy‘-System. Man zockelt mit adäquater Musik im Auto die wichtigen Einkaufsmeilen ab und parke jeweils in einen zufällig frei werdenden Parkplatz ein, betrete das am nächsten gelegene Geschäft, gibt dort den jeweils im beschrifteten Umschlag (Tante Micki, Opa Flottmeier, Dackel Waldi usw.) vorgegebenen Betrag aus, lasse an Ort und stelle das Erworbene in nach dem Zufallsprinzip ausgewählte Geschenkpapier einschlagen und sich die Pakete zum Auto bringen, zahle, steige ein und fahre beglückt nach Hause, natürlich wieder mit adäquater Musik im Auto. Techno. Was sonst. Nur 2006 war etwas unentspannt. Weihnachten meine ich. Das Geschäft war eine Fleischerei, aber hätte ich die liebevoll verpackten Präsente im Kühlschrank verstecken können 14 Tage vor Heilig Abend? Die Zahl der zu beschenkenden hatte sich spontan halbiert – das wiederum war ein unbezahlbares Geschenk für mich. Fröhlichen dritten Advent. Nachträglich…
Weihnachten ist Geschäft. Selbst um die Ecke beim Türken gibt’s jetzt Weihnachtsdöner mit Rotkohl statt Kraut und Glühayran. Lecker. Ein Wort mit 4x ‚TZ‘? Atzvedentzkrantzkertze. Selbige stecken auf einem wiederverwendbaren Kranz aus fleischechtem Vinyl in British Racing Green mit kardinalroten Häkelschleifchen, güldenen Plastekugeln ohne chemische Weichmacher und einem Hauch Sprühschnee aus chinesischer Dose. Ohne FCKW. Abduschen, trocknen lassen, Stecker rein, Kerzen an – fertig. Flöten und andere nervende Instrumente werden spätestens zu Nikolaus weggesperrt und durch Einweisungen im Abspielen von adäquaten CDs ersetzt. Diesmal nicht Techno. Wir wollen doch das Christkind nicht erschrecken. Und die ganze innere Wärme, die weihnachtlich den Körper durchströmt? Christkindl-Glühwein. Beim Lidl im Angebot. Aspirin plus C am Morgen danach. Immerhin.
Was war ich naiv damals, als mein Herz vor Freude hüpfte beim Geruch von Orangen und Nüssen, die es nur in der Weihnachtszeit gab. Was für eine große Lüge. Jeder weiß doch, das alles rund ums Jahr wächst, blüht und gedeiht, all diese merkwürdigen Designerfrüchte aus Hastenichtgehört, bei einigen ist die Schale giftig, bei anderen der Inhalt, einige müssen gekocht, andere desinfiziert, homogenisiert und aphrodisiert werden, manche gibt es nur in Pulverform, manche erst in drei Jahren, viele sind – und das ist ein schöner Erfolg, einigermaßen genießbar. Orangen und Nüsse. Geht garnicht. Und am Abend roter Heringssalat. Nee, is klar. Frühlingsrollen-Carpaccio an Ruccolasorbet mit Rehöhrchen und Zwiebelschaum. Sicher, Weihnachten geht durch den Magen. Egal, in welcher Richtung…
Und so richtig lange Gesichter gibt es dann unter der handgeknüpften Vinylazetatcholroformgranular-Fichte aus Wang-Chao: wer überrascht, hat verloren. Allein ein I-Pod in der falschen Farbe kann den Familienfrieden um Jahre zurückwerfen. Ist nicht schlimm, kurz nach dem Krieg wurde schon für eine lumpige Kippe getötet. Da gab es auch noch mehr Parkplätze als Autos. Was ist nur aus der besinnlichen Vorweihnachtszeit geworden? Aus feierlicher Festtagsstimmung und leuchtenden Kinderaugen, in denen sich das warme Licht echter Kerzen spiegelte? Wie spießig. Der echte Kick ist die Woche zwischen Gans und Feuerwerk, wenn im ganzen Land zum fröhlichen Umtausch geblasen wird wie weiland zum Sturm auf die Bastille zum Ruhme von Konsumfreiheit, Gleichheit der Kreditkarten und Brüderlichkeit unter dem Wappen des Verbraucherschutzes: was will der Penner mit langen Loden und Wallebart im Nachthemd eigentlich von uns? Im Stall geboren, ohne festen Wohnsitz und regelmäßiges Einkommen, das sind die richtigen Heiligen, also wirklich. Das mit dem Kreuz musste so kommen. Und statt die Strafe abzuhängen, fuhr er mal eben so in den Himmel auf. Tolles Vorbild. Kill Bill Vol. 2 am dritten Advent. Heilig Abend mit Freddy Krüger. Zur Weihnachtsgans ein besinnliches Kettensägenmassaker. Am Tag drauf eine Diskussionsrunde. „Du sollst nicht töten“ mit Hannibal Lector, Charles Manson und diesem Demjanjuk da, frisch beatmet und mit Weihnachtsmütze. Und zum krönenden Abschluss semmeln einem gezielte Blendgranaten und Discounterpershings bis zum 10. Januar um die Ohren. Krisenfeuerwerk. Als ob es sonst nichts gäbe, was abzuschießen sich lohnen würde.
Schluss jetzt. Der Idiot neben mir will weg, Parkplatz frei, Woolworth, auch gut, Woolworth ist alles außer Lidl. Immerhin.
Fröhliche Entweihnachten…