Magische Welt, Traumland, Quelle der temporären Glückseligkeit, Oase des Seelenfriedens, kurz auch Wochenende genannt. Ach so. Gestern, Freitag, am Abend also Start in die mystische Zwischenzeit. Aufbleiben bis in die Pupen, rauschende Partys – ersatzweise früher Glotze bis Sendeschluss (das waren noch wahrhaft paradiesische Zeiten) – und dann Ausschlafen, Weckerloses Pendeln im komatösen Raum-Zeit-Kontinuum bis zum Mittag, Seele, Beine und baumeln lassen, kein Kopf für nix, chefloser Glückstaumel unter der dräuenden Graulichkeit des Wochenbeginns. Ist das so?
Auch für mich ist Samstag. 9:00 Uhr ist es auch. Mit Kaffee. Trotz Kaffee. Rotäugige Schläfrigkeit will nicht weichen, während die Fingerchen ihre Arbeit verrichten. Ausschlafen. Als ob sich der Tagesrhythmus drum schert, welcher Tag sich gerade an ihm vorbei zwängt. Hören meine Fingernägel auf zu wachsen am Wochenende? Kann ich da alles tun, ohne anschließend duschen zu müssen, weil auch die Schweißdrüsen frei haben? Bartwuchs? Darm? Blase? Schön wäre es, wenn der Körper sich auch dem dolce far niente hingeben würde, oder? Ach, sie meinen, die Schwellkörper vielleicht nicht? Kommen Sie, auf Herz und Hirn würde ich weniger gerne verzichten wollen. Das mit dem Dauerurlaub des Hirns habe ich jetzt aber geflissentlich überlesen. GEHirn. Egal, wohin. Danke. Wochenend kein Sonnenschein.
Wochenende in Berlin zu Jugendzeiten? Ein Traum. Wochentags begann die Schule um neun Uhr nachts. Schlimm genug. Am Sonntag reihten wir uns um sieben Uhr in die beginnende Warteschlange vor dem Strandbad Wannsee ein, meist zu spät, um noch einen Strandkorb zu ergattern. Während die City zur schweigenden Geisterstadt wurde, tobte am Wasser, an JEDEM Wasser, der Kampf um ein Fleckchen an der Sonne. Bis mein Vater ein Motorboot kaufte. Beim Stau im Kanal war wenigstens Sonne. Wochenende. Ein Traum. Während die Beutedeutsche Landsmannschaft mit Trabbi an die Müritz knattern durfte, verharrte der Restberliner in seinem Terrarium. Nach dem Öffnen der Grenzen und der Baumärkte hat sich die Situation entschärft, es ist Platz da für alle, auch etwas später noch. Zum Glück.
Während meine biologische Uhr bereits auf Drittfrühlingszeit umgestellt ist, tickt meine innere Uhr immer gleich, die lässt sich auch vom Wochenendwahn nicht beeindrucken, aufgewacht wird, wenn SIE es sagt, ohne ewigen Kalender, Gangreserve, Mondkalender und automatischer Sommer-/Winterzeitregulierung. Die Augendeckel klappen hoch, eine ungeduldige Brille erwartet kühl mein noch warmes Hinterteil, Steppdecke, nicht Veranlagung, Eine Formulierung rutscht mir ins Bewusstsein mit der Erkenntnis, dass ich aber hätte ausschlafen können, mir das aber völlig Wurscht ist, weil ein Tag wieder andere ist mit Fernsehen rund um die Uhr und offen Geschäften bis in die Puppen und Autoverkehr und Heimwerkerkrach statt Handwerkerkrach und auch die Fische keinerlei verändertes Verhalten, der Hund sowieso nicht. Nur der Bäcker im Hause wagt es, seinen Laden um 13:00 Uhr zuzusperren. Um 13:00 Uhr! Am Samstag!
Wochenende. Ein Mythos. Da werden urplötzlich Menschen (noch immer meist) unterschiedlichen Geschlechts gezwungen, gemeinsam Zeit zu verbringen. Miteinander. Das werktägliche Nebeneinander (her) kippt aus dem Gleichgewicht, Gesprächspausen fallen plötzlich auf wenn sich Stunden mit Leere füllen (?)! Ein Gespräch? Warum? Wer ist der Mensch, den man sonst kurz zum Frühstück trifft und sich am Abend ab und an ein Bier bringen lässt? Oder es bringt? Was tun mit einem Tag, dem das Halt gebende Gerüst von Arbeit fehlt? Und nebenbei Inhalte schafft? Und am Abend zwei Synchronmonologe so tun, als wären sie ein Gespräch? Hoppla. Was will dieser andere Mensch da gegenüber von mir? Formel 1, Sonnenschein, kaputtes Regal, der Braten, Hund, Freunde, im schlimmsten Fall Kinder, ein schmutziges Auto, dieser Film mit Romy Schneider, Terminator, Sex, Abwasch, die Eltern, nein, die anderen, Telefon, Computerspiel, umtopfen, Bier alle, Brot vergessen, dein Kind hat die Vase kaputt gemacht, Sportschau, wieso mein Hund, Hunger, schon wieder Abwasch, spät, der Nachbar macht Lärm, zu spät…
Wie gut ich es habe. Freiberufler. Immer am Computer. Pausen nach Bedarf. Arbeitsplatz transportabel. Temporäre Lebensabschnittsparternin im Schichtdienst. Baden, wenn andere arbeiten. Fast leere Strände. Fast leere Geschäfte. Kein Tag wie der andere. Immun gegen Wochenende. Täglich Synchronmonologe. SIE hat die Fernbedienung. Sie nennt sie Macht. Ich habe meine Ruhe. Am halbrunden Tischchen. Wozu zusammen leben? Wo ich doch die Fische habe. Und sie den Hund…
Die erste Tasse Kaffee schmeckt immer am besten!