Was ist was wert, ich meine nicht, was ist wie viel wert, wenn es was wert ist, sondern, was überhaupt einen Wert hat. Im Leben.
Nichts ist wohl individueller, als das. Bei ehrlicher Beantwortung, besonders dann, wenn eine Reihenfolge der Wertigkeiten erstellt werden soll. Da ist – wohl fast immer – ein großer Unterschied zwischen gelebten und (öffentlich) kommunizierten Rangfolgen der Wertigkeiten.
Der Eindruck herrscht vor, dass Werte mit materiellen Werten verwechselt werden, schlimmer noch, ersetzt wurden: Mein Haus, meine Yacht, mein Auto, mein Job, meine Hobbys, mein Hund, meine Frau, meine Kinder. In exakt dieser Reihenfolge. Kleine Abweichungen sind möglich. Bei Frauen dürfte das etwas anders sein, Kinder zuerst. Vielleicht.
Werbung und Medien suggerieren, dass wir alle uns nach dem definieren, was wir haben, nicht nach dem, was wir sind, noch weniger nach dem, WER wir sind. Wir sollen sein, was wir zeigen. Das beginnt im Kindergarten – spätestens. Auch die eigenen Kinder verkörpern den (angestrebten oder erträumten) Status. So wird Neid und Standesbewusstsein (samt Standesdünkel) quasi in die Wiege gelegt. Mit all seinen (ausschließlich) negativen Folgen: Denuntiantentum, Opportunismus, Gier, Rücksichtslosigkeit, Mobbing, Hochstapelei, Betrug. Jeder wird in seinem Leben schon damit zu tun gehabt haben. Aktiv und/oder passiv.
Martin Morlock fasste diese Situation zusammen in seiner Erklärung des Begriffs “Chuzpe”:
Wenn man dir gibt – nimm;
wenn man dir nicht gibt – nimm weg;
wenn man dir weg nimt – schrei!
Ein Mehr an Lebensqualität wird immer häufiger mit einem Mehr an materiellen Werten verwechselt, mehr gibt es allerdings auch nur gegen mehr: für ein Mehr an Stress, Leistungsdruck, Arbeits- und Zeitinvestition, Unsicherheit, Einsamkeit, Konflikten und letzlich Feinden. Halt, weniger wird auch etwas – die Ausnahme bestätigt auch hier die Regel -, die Lebensqualität nimmt ab.
In Zeiten, in denen Werte einen hohen Stellenwert hatten, gab es sichlich auch materielle Werte. Auch. Edle Kleidung konnte man erkennen, Stoff, Sitz, Verarbeitung waren topp. Heute wird uns dieser Wert suggeriert, in dem der Hersteller, das Label, weithin lesbar auf Brust und Rücken steht. Wer will da noch wissen, dass diese Pseudoqualität teilweise in den selben, menschenverachtenden Fabriken in China produziert werden wie Billigware aus dem Discounter? Was ist das für eine Zeit, in der selbst materielle Werte nur noch Simulationen ihrer selbst sind?
Wertewandel wird mittlerweile nicht nur gepredigt, sondern auch gelebt. Aber welcher? Der von Aktien zu Gold. Der von BMW zu Mercedes und zurück, der von Kunst zu Antiquitäten. Der vom Swiming-Pool zum Designergarten. Der vom Landhaus zur Stadtvilla. Glückwunsch. Prinzip erkannt?
Nun sind uns diese so genannten inneren Werte nicht in die Wiege gelegt, sind nicht Instinkt. Wie aber sollen Kinder ihren Sinn und Zweck erlernen, wenn sie nicht gelehrt, nicht gelebt werden? Was wird aus uns allen, wenn in nachfolgenden Generationen immer weniger die wahren Werte vermittelt bekommen? Und wollen wir das in letzter Konsequenz wirklich wissen?
Da lehne ich mich entspannt nach vorn, blicke vom Balkon direkt in meine Zukunft: auf einen wunderschönen Friedhof.