Wohl denen, deren Kauleisten angemessen mit Zahnwerk bestückt sind, vollzählig und in reinem Weiß erstrahlend. Doch für ein Filmkusslächeln Kaffee und Tee entsagen? Auf all‘ diese netten süßen Schweinereien verzichten? Jeden müden Euro in Dentalkosmetik und Gebisstuning investieren? Niemals.

Irgendwann allerdings verschwanden lecker Bissen im Rachen, einfach so. Kamen nie im Magen an. Schon die Speiseröhre meldete keinen Vollzug. Irgendwo zwischen Lippen und Mandeln entmaterialisiert. Um dann scheinbar aus dem Nichts wieder auf zu tauchen. Plötzlich und unerwartet. Formlos. Von fadem Geschmack. Übrig blieb eine gerunzelte Stirn und ein leichter Hall auf der letzten Silbe beim Sprechen. Zeit für einen Besuch beim Zahnarzt.

Schon zehn Tage später saß ich im Wartezimmer. Keine Ahnung, bei wem. Die Räume waren die alten, das Personal neu, irgendein unverständlicher Name am Telefon – aber was macht das schon.

Der nächste Stuhl war bequemer.

So einen Stuhl möchte ich zu Hause haben: an Stelle der Lampe ein TFT-Display, statt Instrumentenbord die Tastatur, die Frischwasserfontaine könnte ein Teekocher sein. Per Fernbedienung rauf und runter, neigen, senken, schwenken, vielleicht in rotem Leder das Polster und der Rest Dunkelblau. Metallic.

Auftritt der Mannschaft. Vorneweg Zahnarzthelferin, zum Dutt gebändigter Blondschopf, Sommersprossen, gebremster Liebreiz, groß, kräftige Hände. Kräftige Hände?

An zweiter Stelle noch eine Zahnarzthelferin. Schwarze Wellpracht, mühsam gebändigt, braune Rehaugen – meine klatschten bereits in die Hände – schönes Gesicht, weiche, warme Stimme, Männerohren weich spülend, Wachs in diesen Händen sein, welch…, wie – , WAAAS?

Es war Frau Dentistin selbst, die in meine Sinne schwebte: Irina. Irina Irgendwas. So jung. So schön. So Rrrrrussssisch. Oder rassig?- Soso..

Das Nächste, was mir durch den Kopf ging, war der Bohrer. Infernalisch hohes Pfeiffen eines sich in mein Echo fräsenden Bohrkopfes, röchelndes Glucksen des Speichelsaugers, überall helfende, spreizende, drückende, fixierende Hände. In Gummihandschuhen. Wegen der Fingerabdrücke, schätze ich mal. Und dann kam der Schmerz. Fuhr mir mit Schallgeschwindigkeit – AAAARRGHAAH – in den Unterkiefer, breitete sich aus, raste bis in den kleinen Zeh, machte kehrt und perlte als Schweißtropfen von der Stirn. Indianer kennt kein Schmerz.

Ich bin aber kein Indianer! Nein, es hätte eigentlich nicht weh tun können dürfen sollen. Ja, der Zahn ist im Prinzip tot, Wurzelkanal mit Füllung, doch. Nein, es gibt da ein Problem, dass, jaaaa, der Zahn ist offenbar gebrochen, bis in den Wurzelbereich. Doch, schon, es ist schade, aber der Zahn, nein, erst mal eine Röntgenaufnahme.

Natürlich musste der Zahn raus, gebrochen von oben bis unten. Wie mein geblendet Herzilein. Die Bohrerei umsonst, keine Kunststofffüllung nötig, keine Zuzahlung, da die Kasse nur Provisorien aus Zement bezahlt und sonst nix. Raus ist umsonst, rein schweineteuer. Klassenlose Versicherung? Tütensuppenabo für den Kassenpatient, strahlend weißes Lächeln für die Privatversicherten.

Ein strahlend weißes Lächeln fragte mich, ob ich denn heute noch etwas vor hätte. Da strafft sich das Gesicht mit einem kernigen NEIN. Oh, Irina, Perle des Ostens, zarteste Versuchung, seit es die Dentisten gibt: NEIN. Irina, verfüge über mich, dein sei ich für diesen Abend, bedenke mich mit Tiernamen…

…spätestens, als die Spritze zu wirken begann. Irina, mein Engel, warum sind deine Hände so kräftig? – wollte ich sie fragen bei Kerzenschein und einem Milchkaffee bei meinem Lieblingsitaliener. Jetzt weiß ich es auch so. Linksgehebelt, rechtsgehebelt, rumgehebelt, eingehebelt, ausgehebelt, weggehebelt. Schmerz – die Zweite. Und knackgehebelt. Mit der Zange gerüttelt, den Kopf geschüttelt, wieder gerüttelt, gerüttelt, gezogen Teil eins, gezogen Teil zwei. Da lag er nun, der geteilte Deliquent, in seinem Blute. Korrektur: in MEINEM Blute. Das hat er jetzt davon. Und ich eine Tamponade als Sprechblockade: der Bedeutung der Presswehen auf der Spur…

Eine Füllung wollte ich frohen Herzens mit nach Hause nehmen – einen Zahn ließ ich da.
Steiler Zahn, Irina, welchen meiner Hinterbliebenen darf ich dir als nächstes zur Extraktion vorwerfen?