Ich lebe nicht von der Hand im Mund sondern mit der Hand im Mund, damit ich nicht so laut schreien kann. Die andere Hand hält mir ein Ohr zu. So vernehme ich nur die positive Hälfte. Meine Augen hingegen sind weit aufgerissen und können nicht glauben, was sie sehen müssen. Am Kopf kratzen mich andere.
Aufgekratzt habe ich den Tag begonnen, das Brötchen war lecker und auf dem halbrunden Tischchen wird der Kaffee gerade kalt. Macht aber nix, er schmeckt trotzdem. Und draußen droht der Frühling, ein Ansteigen der Geräuschemission durch Vogelgezwitscher ist zu merken, die Gastherme säuselt seltener und meine Fellschlappen fürchten bereits um ihre Daseinsberechtigung. Das Jahr beginnt zu knospen. Während viele noch – total abgefahren – auf Winterschlappen durch die Gegend eiern, sorgen die ersten rasenden Joghurtbecher mit ihren in Leder gepressten Handgasäffchen lautstark für dieses Fünkchen Nervenkitzel, dass das Fahren in der Großstadt erst zum Alptraum vergären lässt. Wer dann noch gerne Automobiliert, bekommt durch wilde Radler den Gnadenstoß, unbeleuchtet, entgegen der Fahrtrichtung, auf engen Gehwegen und grundsätzlich immer im Recht. Doch auch ich fahre Fahrrad, habe im Straßenverkehr aber weniger Stress mit Automobilisten als mit Radlerkollegen. Spießrutenradeln in Kreuzberg.
Aprospos. Fußgänger in Kreuzberg? Alle zwanzig Meter kann der hilflose Fußgänger seinen Weg erst nach dem Verzehr einer Tasse Latte Macciato seinen beschwerlichen Weg fortsetzen, da sich Tische und Stühle der zahllosen Cafés krakenartig den Gehweg einverleiben und gewiefte Studierende und als Service(?)personal verkleidete Wegelagerer Getränkemaut einfordern.
Zum Glück ist es noch nicht ganz so weit und es kann durchaus zu Schneefall und anderen Winterkapriolen kommen. Doch, ja, es gibt auch Dinge, die einem den Frühling vermiesen können. Solange Rücksicht mit dem Blick in den gleichnamigen Spiegel verwechselt wird und als Feigheit vor dem Feind, wird sich wohl nix dran ändern. Auch und gerade in Kreuzberg nicht.
Wie (un)schön, dass mein heutiges Tagesprogramm keinen Raum zum Nachdenken zur freien Verfügung stellt, weitestgehend unkontrollierbar ist und als Gegenleistung verdienstfrei und teuer. Da hätte ich gleich im Bett bleiben können. Eine Hosentasche voll Eiscreme wäre auch nicht schlecht. Alternativ.