Während es Ort für Ort mit Grundloff nicht lange auszuhalten vermochte, war man in Kaltensteinhausen nicht untätig gewesen und hatte weitere Einzelheiten im Rathaus des Sprengels eilends unter den Teppich gekehrt. Das tat man schon seit Jahren so mit allem, was rund um Kaltensteinhausen so passierte, in Kaltensteinhausen selbst passierte bis dato nahezu nichts. Im Laufe der Jahre allerdings hatte sich durch das ständige unter den Teppich Kehren die Perspektive deutlich verschoben, so dass der eichene Konferenztisch nunmehr nur über einer Leiter erreicht werden konnte, ja, es ging sogar ein Antrag herum um Einfassung der Teppichkante mit einem Geländer, auf das kein Ratsherr abstürzen möge. Aber noch mehr hatte sich im Rathaus von Kaltensteinhausen zugetragen. Obschon man es gar nicht gerne sah, wenn etwas sich zu trug, ohne sich eingetragen zu haben und ordnungsgemäß übergeben worden zu sein. Mehrmals schon hatte Grundloff auf diesen Missstand hingewiesen. Mehrmals.

Grundloff hingegen hatte den Verdacht, als nähme man ihn, immerhin Vorfeldmeister und Herr über startende und landende Aeroplane besonders zur Winterzeit, im Rathaus zu Kaltensteinhausen nicht ernst. Dabei lag es doch auf der Hand, die nach einigem Kaffee ein wenig zitterte, dass allein das Umdrehen des Ortsausgangsschildes alle Welt in Bestürzung versetzen werde, was gleichzeitig das Umdrehen aller Ortsendeschilder von Kaltensteinhausen unmittelbar zur Folge hätte, da das Eine nicht ohne das Andere zu haben sein könnte. Alle Welt. In Bestürzung. Das hatte Grundloff mehrfach und mit Nachdruck wiederholt. Auch als der Nachdruck im örtlichen Kreisblatt auf Seite eins erschien, änderte sich nichts an der Gleichgültigkeit seiner Kaltensteinhausener Mitbürgerinnen und Mitbürger einschließlich und im Besonderen der Mitgliederinnen und Mitglieder des Rates. Ein Skandal.

Was wäre denn, so fragte ihn ein zornesroter Ratsherr vom Teppich herab, was wäre denn, werter Grundloff, würde man, welch törichter Gedanke überhaupt, in verabredeter Gleichzeitigkeit alle Ortsendeschilder umdrehen? Nichts wäre. Nichts, echoten die anderen mittlerweile ebenso zornesroten Ratsherrinnen und Ratsherren vom Teppich herunter, nichts, absolut nichts.

Grundloff hatte sich zu voller Größe aufgerichtet, den Kopf in den Nacken gelegt und mit kraftvoller Stimme das Unfassbare nach oben auf den Teppich gerufen: Würden alle Ortsendeschilder in verabredeter Gleichzeitigkeit um 180 Grad gedreht, befände sich – und sich dies einmal vorzustellen könne doch nicht so schwer sein, das Ortsende von Kaltensteinhausen außen und in Kaltensteinhausen wäre etwas ganz anderes, kurz, alle Welt wäre Kaltensteinhausen, Kaltensteinhausen selbst aber etwas anderes, nicht näher definiertes, wenn nicht gar die Welt selbst. Man bedenke die globalen Verwerfungen und Konsequenzen. Der werte Herr Bürgermeister wäre Herrscher über nahezu alle Welt als werter Bürgermeister von Kaltensteinhausen, wohne aber nun außerhalb, was eine Wiederwahl nahezu unmöglich machen würde. Für die Ratsherren gelte nahezu ausnahmslos das gleiche. Innerhalb des Ortsausgangsschildes herrsche Anarchie, wäre man nicht in der Lage, dem Dilemma entsprechend vorzubeugen.

Noch weitaus schlimmer, so Grundloff, wäre das Szenario dergestalt, dass die Gleichzeitigkeit der Umdrehung alle Schilder ereilen würde. Dann, so Grundloff weiter, wäre die Welt als solche ein Flickenteppich unterschiedlich großer Flächen, während niemand mehr wisse, wohin man käme, würde man in einen Ort fahren, in dem man ihn, gemessen an der Vergangenheit, verließe. Kurz, so Grundloff weiter, wäre der Anarchie Tür und Tor geöffnet.

Der letzte Satz Grundloffs war in wütenden Tumulten oben auf dem Teppich untergegangen. Der Kronleuchter dicht über den Köpfen der aufgelösten Ratsherren schwankte bedenklich, während alle 72 Glühlampen um ihre Fassung rangen. Ein besonders aufgebrachter Ratsherr stolperte über seinen Schatten und stürzte mit glasigem Blick vom Teppich herab in die Tiefe. Der Blick zersprang am Boden in tausend Teile. Ortsendeschildgate hatte ein erstes Opfer gefunden.

All dies ging Grundloff festen Schrittes durch den Kopf, während er eine Olive schüttelte, bevor er sie sachte in seinen Martini gleiten ließ. Grundloff war fest entschlossen, nicht nachzugeben. Diesmal nicht.