Kaltensteinhausen Nordwest lag eingebettet in die Hügelkette der Wuiden Au, durch dessen Tal sich die Grüne Strunz schlängelte. Am anderen Ufer der Grünen Strunz war , wie an einer Perlenkette aufgereiht, eine kleine Siedlung entstanden, die nur über eine Brücke über die Grüne Strunz erreichbar war. Hier hatte sich Grundloff eingekauft, obwohl sein Domizil nahezu 27 km von seinem Arbeitsplatz auf dem Aeroport Hessfurts entfernt lag. Grundloffs Dreifachhausdrittel lag genau in der Mitte und war so ursprünglich nicht geplant. Einem zerstreuten Architekturstudenten war beim Kopieren der Pläne für die Bauherren ein peinlicher Fehler unterlaufen und hatte in der Mitte ein Zweistöckiges Etwas geschaffen ohne Türen und Treppe mit gerade eben fünf mal sieben Meter Grundfläche. Da sich die Eigentümer der beiden Hälften nicht einigen konnten und keiner den Mehrpreis zahlen wollte, schnitt man eine Eingangstür in die Front, eine Gartentür in die Rückseite und verband die beiden Etagen mit einer Wendeltreppe. Da der Kaufpreis äußerst günstig und Grundloff Junggeselle war, fanden beide schnell zusammen.

Grundloff hatte sich einige Martini gegönnt und ebenso viele geschüttelte Oliven ins Glas gleiten lassen, als das Telefon ein Gesprächsgesuch in die Ruhe klingelte. Grundloff ergriff den richtigen der beiden Hörer und versuchte sich zu konzentrieren, während vor seinen Augen Oliven tanzten. Es war ein kurzes Gespräch, in dessen Verlauf Grundloff lediglich drei ‘ja’, ein ‘nein’ und zum Abschluss ein ‘oh’ beisteuerte. Man habe sich entschließen müssen, ihn, Grundloff, zu beurlauben und erwäge eine Verschickung in den Vorvorruhestand. Seine Leistungen hätten in letzter Zeit doch sehr zu wünschen übrig gelassen, schließlich hätte er bei der letzen Vorfeldmeisterschaft lediglich Rang drei erreichen können, was ja einerseits Bände spräche und andererseits für solche nun mal kein Platz auf einem modernen Aeroport sei, er müsse das verstehen.

Minutenlang hielt Grundloff ungläubig den Hörer noch neben dem anderen Ohr, bevor er ihn beim zweiten Versuch auf den echten Apparat legte. Sein Blick leerte sich wie sein letzter Martini, wurde starr und nahm nicht einmal mehr war, wie er samt Grundloff nach vorne kippte, den Tisch knapp verfehlte und auf dem Teppich einschlug. Da lag Grundloff nun schlaff wie einer, der gerade nach vorn gekippt und den Tisch knapp verfehlend auf dem Teppich eingeschlagen war. Ein tiefer Seufzer entrang sich dem Gehege seiner blitzblanken Zähne: Oliven alle. Und nur Momente später – mit Augenblicken war es Augenblick, nein, im Moment schlecht bestellt – füllte neben Kunstlicht und Wärme ein sonores Schnarchen den Raum zur Gänze aus.

Unterdessen ereignete sich südsüdöstlich von Kaltensteinhausen Nordwest ein anfangs unbedeutender Zwischenfall kurz vor den Toren Allerloiblsreuths bei Straßenbauarbeiten. Der Aushilfsstraßenbaugehilfe Alois H. hatte nach Abschluss der Asphaltausbesserungsarbeiten Das Ortsschild von Allerloiblsreuth verkehrt herum in die bajuwarische Erde gesetzt. Herrn H., von allen Aushilfsstraßenbaugehilfen, Straßenbaugehilfen, Straßenbaugesellen und Straßenbaueistern nur kurz Alois genannt, Herrn H. also war dieser anfangs unbedeutende Lapsus nicht aufgefallen. Erste Autofahrer, die, aus Allerloiblsreuth kommend, Allerloiblsreuth verlassen wollten und plötzlich nach Allerloiblsreuth hinein zu fahren schienen, wendeten, um erneut am Startort zu landen, erneut wendeten und wiederum nach Allerloiblsreuth hinein zu fahren schienen, obwohl sie sich dieses wiederum verlassend wähnten und erneut wendeten, begannen zu ahnen, dass etwas ungeheuerliches vorgefallen sein musste, bevor sie unverrichteter Dinge wieder zum Ausgangspunkt ihrer vergeblichen Ausfahrt zurückkehrten, um sich dort kopfschüttelnd in ihre jeweiligen Betten zu legen und dort sofort erschöpft und in der Mehrheit traumlos einschliefen.

Umgekehrt wiederum gelang es einer Reihe Angehöriger nicht, ihre Angehörigen in Allerloiblsreuth zu besuchen, da sie, verwundert zwar, doch an die Korrektheit Deutscher Straßenverkehrszeichen nicht ohne Stolz glaubend, am Ortsendeschild von Allerloiblsreuth kehrt machten in der irrigen Annahme, sie hätten unbemerkt den Ort bereits passiert und wären am angestrebten Ziel vorbei gefahren. Auch sie gingen nach einigen Irrungen und Wendungen frühzeitig und kopfschüttelnd zu Bett. Und so kam es, dass am Folgetag in Allerloiblsreuth das Brot ausging und zahlreiche Arbeitsplätze östlich von Allerloiblsreuth nicht besetzt werden konnten, während südlich von Allerloiblsreuth von alledem nichts zu spüren war, bis sich in, an und bei Allerloiblsreuth auch der letzte Meter Straße mit vollkommen orientierungslosen Automobilisten gefüllt hatte und jeglicher Verkehr vollständig zum Erliegen kam. Jeglicher Verkehr. Vollständig. Zum Erliegen.

Nichts ahnend hatte der Aushilfsstraßenbaugehilfe Alois H. nach Abschluss der Asphaltausbesserungsarbeiten durch das grob fahrlässige Wiederaufstellen eines Orts- bzw. Ortsendeschildes – und zwar dessen von Allerloiblsreuth – in einem Fehlwinkel von nahezu 180 Grad den Keim des Chaos in der bajuwarischen Erde versenkt.